Das „kleine Fräulein Doktor“ wird 120

oder was bedeutet uns Margarete Blank heute?

Was bleibt von einem Menschen, der vor 120 Jahren geboren und im Alter von 44 Jahren auf dein Schafott der Nazis sterben musste? Was bleibt in den Köpfen derjenigen, die Mar­garete Blank noch als Freundin, Kollegin, große und kleine Patienten erlebt haben? Und was denken die nach dem Krieg Gebo­renen und unsere Kinder und Enkel, die sich kaum in diese Zeit hineindenken kön­nen und auch manche Geschichtsbücher wenig hilfreich sind. Begeben wir uns doch auf Spurensuche und lassen wir ältere und jüngere Bürger zu Wort kommen:

Frau Helga Wächtler, Köln ‚Zeitzeugin: „Frau Dr. Blank hatte ihre Praxis im Haus meiner Großeltern, damals Borsdorfer Straße 88f, wo auch wir — meine Mutter mit ihren 6 Kindern — in den Kriegsjah­ren wohnten. Ich erinnere mich noch sehr gut an Frau Dr. Blank. Durch Rodeln auf dem hochgetürmten Schnee gegenüber un­serem Wohnhaus hatte ich mir eine Wunde am Bein zugezogen. Meine Mutter eilte mit mir zu Frau Dr. Blank, die mich sofort be­handelte. Eine Narbe war nicht zu vermei­den, so dass ich heute noch ein sichtbares Zeichen der Erinnerung an Margarete Blank habe. Mit Leib und Seele hat sie sich für ihre Patienten eingesetzt. Sie kam oft spät abends von Hausbesuchen zurück, oft per Schlitten im eisigen Winter. Meiner Mutter sagte sie, dass sie bei Fliegerangrif­ fen mit den Kindern den Keller aufsuchen soll. Als meine Schwester Rosemarie an Keuchhusten erkrankte, wurde sie durch Frau Dr. Blank geheilt. Meine Mutter hat nie eine Rechnung von ihr bekommen. Die Patienten standen oft Schlange bis auf die Straße vor der Treppe zur damaligen Veranda. Es war für uns unfassbar, als die Ärztin verhaftet wurde. Ich erinnere mich noch, dass damals immer noch die Hoff­nung auf Freilassung bestand, aber leider hat auch eine Unterschriftensammlung nicht mehr geholfen. Das Opfer Dr. Marga­rete Blank ist ein Beispiel dafür, dass Fa­natismus und blanker Hass die Menschen ins Verderben und in unermessliches Leid führen. Den zukünftigen Generationen darf diese Tatsache nicht oft genug vor Augen geführt werden“.

Richard Sondermann, Panitzsch:

„Ein eigenes plötzlich aufgetretenes Leiden veranlasste mich, in den ersten Wochen der Tätigkeit von Margarete Blank in ihrer Praxis in der Sehliser Straße, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich muss gestehen, es gehörte viel Optimismus und Zuversicht seitens der Patienten dazu, um sich nicht schon durch den äußerlichen Eindruck der Praxis, ungünstig beeinflus­sen zu lassen. Ein Raum mit vier kahlen Wänden, einem undekorierten Fenster und vier in Form und Farbe verschiedenen Stühlen als einziges Inventar, stellte das Wartezimmer dar. Aber auch das angrenzende Behandlungszimmer, obwohl pein­lich sauber, erweckte keinen günstigen Eindruck. Auch hier nur zwei Stühle, ein kleiner Arbeitstisch, eine mit Kunstleder bezogene Chaiselongue sowie ein kleiner Behälter mit einigen wenigen medizi­nischen Instrumenten waren die ein zigen Gegenstände. Und doch hat es diese kleine so unscheinbare Frau in wenigen Jahren fertiggebracht. ihre Praxis zu einer der größten im Land kreis Leipzig auszubauen!“

Hannchen Schneider, (absolvierte ein sogenanntes Pflichtjahr bei Dr. Blank) Eine bessere oder liebevollere Lehr meisterin kann man sich kaum denken Wie eine zweite Mutter wies sie mich ein und teilte mir ihre Erfahrungen mit. Wie gern fuhr sie sonntags mit ih rem kleinen Opel in die Dübener Heide Sie kannte fast alle Blumen und Vogel stimmen. Von ihr lernte ich, wie man sich an jedem noch so kleinen Ding in der Natur erfreuen kann.“

Gertrud Frank, (bis zur Ver­kündung des Todesurteils gegen Margarete Blank war sie zeitwei­se mit der Ärztin in einer Zelle eingesperrt): „Einmal wurde eine Gefangene schwerkrank eingeliefert. Der Gefängnisarzt ließ sich nicht blicken. Man holte Dr. Blank zu der Kranken. Sie stellte die richtige Diagnose und verlangte eine Spritze, die man ihr aber nicht gab. Die Ärztin blieb die ganze Nacht bei der Kranken, die aber schließlich verstarb.“

Olaf Beyer, Zweenfurth: „In ihrem Beruf war Dr. Blank viele Jahre im engen Kon­takt zu den Menschen im Ort und in den umliegenden Parthedörfern. Hier erfuhr sie mit ihrem Engagement und Aufrich­tigkeit Anerkennung und Achtung. Bald nach ihrer Ankunft in Panitzsch begann der Nationalsozialismus nach der Macht zu greifen. Schon 1933 strebte das Re­gime nach der Unterordnung des Ge sundheitswesens unter ihre Ziele als der „Gesundheit des Volkskörpers“ incl. der NS- „Rassenhygiene“. Von Beginn an trat Frau Dr. Blank dem NS-System mit ihren Mitteln entgegen. Bewusst ging sie mit der Verweigerung des deutschen Grußes auf Distanz. Und sie war nicht dem NS-Ärzte­bund beigetreten, was freilich für ihre be­rufliche Praxis und den privaten Haushalt Nachteile mit sich bringen musste. Zudem war sie nicht örtlichen NS-Organisationen verbunden und bei ihrem Dienst als Ärz­tin in Panitzsch galt Margarete Blank in besonderer Weise immer öffentliche Auf­merksamkeit. Mit den humanistischen Idealen ihrer Herkunft und Ausbildung ge­lang es ihr, diesen alltäglichen Widerstand auszuhalten und ihren aufrechten Gang zu be­wahren.“

Kristina Danz, Ober­studiendirektorin i. R:

„Ich wurde im Dezember 1953 in Borsdorf gebo­ren und hörte schon als Kind von der „berühmten Ärztin“aus Panitzsch. Je älter ich wurde, um so mehr interessierte ich mich für das Leben und Schaffen von Dr. Margarete Blank. Sie war eine mutige und intelli­gente Frau, die den Menschen uneigennüt­zig half. Als Schülerin und später als Leh­rerin in Borsdorf besuchte ich mit meinen Schülern regelmäßig die Gedenkstätte in Panitzsch, legte Blumen nieder und erin­nerte an die Ereignisse im Nationalsozia­lismus. Von 1992 bis 2020 leitete ich das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Taucha. Das Vermächtnis von Dr. Margarete Blank und der Geschwister Scholl bestimmten ei­nen großen Teil unserer Bildungs- und Er­ziehungsarbeit. Regelmäßig nahmen wir Kontakt zum Dr.-Margarete-Blank-Verein auf und konnten so mit Unterstützung en­gagierter Lehrer und Zeitzeugen unseren Schülern die NS-Geschichte besser ver­deutlichen. Erinnern wir auch in Zukunft an solche Menschen wie Margarete Blank und erklären den Jugendlichen ihre Vor­bildwirkung. Im Zuge der Globalisierung ist von uns mehr Offenheit gegenüber fremden Kulturen undLebensweisen gefordert, stellen wir inter­kulturelles Lernen in den Mittelpunkt und vermitteln wir unserer Jugend Werte, wie sie uns die Ärztin vorgelebt hat.“

Dr. Marion Michel, Taucha:

„Von Margarete Blank erfuhr ich durch meine Mutter, Charlotte Zeitschel, die 1970 die Leitung der Blank-Gedenkstätte von Gertrud Bobeck übernahm und bis 2010 Haus und Garten mit Leben erfüllte, ganz im Geiste von Margarete Blank. Als die junge Frau 1921 an der Universität Leipzig als Fräulein ihr Medizinstudium begann, war in ihrem Studienbuch beim Namen das eingedruckte „Herr“ durch­gestrichen und handschriftlich durch „Fräulein“ ersetzt. Später, in ihrer Praxis in Panitzsch half sie auch Menschen, die rechtlos waren im damaligen Deutschland, was sie letztlich mit ihrem Leben bezahlen musste. Diese beiden Eckpunkte markie­ren die Spannweite ihrer Bedeutung bis in unsere Zeit. Sie hat die Tür aufgestoßen, dass es für jungen Frauen heute selbstver­ständlich ist zu studieren. Aber auch heu­te bedarf es Zivilcourage. um sich gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Un­recht einzusetzen, in Sachsen, in Deutsch­land und international. Die Panitzscher können stolz sein auf ihr kleines Fräulein Doktor „, wie sie von ihren Patienten liebe­voll genannt wurde.“

Denise Abdelwand, Berlin (ehemals wohnhaft in Panitzsch): „Wie heute viele Ärztinnen und Ärzte half Dr. Margarete Blank unermüdlich und selbstlos ihren Patienten. Ihr couragierter Einsatz für Mitmenschlichkeit, Mitgefühl und für ei­nander Dasein in besonders schwierigen Zeiten verdient höchsten Respekt und darf niemals in Vergessenheit geraten!“ Paulin Fisch, Jugendliche aus Panitzsch: „Sie arbeitete als Ärztin in Panitzsch und Taucha, wo sie Zwangsarbeiter/Innen und Kriegsgefangene über das übliche Maß hi­naus mit Medikamenten versorgte. Die An­deren stellte sie wohl immer über ihr eige­nes Leben. Außerdem distanzierte sie sich bewusst vom NS-Regime, indem sie die den Hitlergruß verweigerte und weder in der NSDAP noch im NS-Ärztebund organisiert war. Nur wenige trauten sich das und gin­gen so gegen das nationalsozialistische Gedankengut vor. Dr. Margarete Blank ist ein Vorbild für mich und für unsere Gesellschaft.“

Sarah Adam, Medizinstudentin in Göt­tingen: Als Schülerin des Romain-Rol­land-Gymnasiums hatte Sarah 2015 am Geschichtswettbewerb des Bundespräsi­denten teilgenommen und den ersten Platz für Sachsen gewonnen. Die Arbeit über Margarete Blank hängt eng mit der Ge­schichte ihrer Familie zusammen: Ihr Urgroßvater Otto Mroß war ebenfalls denunziert worden, er wurde auch wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt und sein Prozess fand am gleichen Tag, vor dem gleichen Senat wie der gegen Margarete Blank statt. Mangels Beweisen musste Otto Mroß freigesprochen werden. Er hat­te vom Schicksal der Ärztin erfahren und seine Familie hat über Generationen die Erinnerung an Margarete Blank bewahrt.

„Mir hat die Arbeit gezeigt, dass Menschen auch im positivem Sinne „anders“ sein können und das „anders sein“ auch „mu­tiger sein“ oder „besonders sein“ bedeuten kann. Das war bei Frau Dr. Blank, die mit der Herrschaft des Nationalsozialismus … nicht einverstanden war, der Fall.“

Unsere Gemeinde ehrt auf vielfältige Weise Margarete Blank: Die Grundschule, der Förderverein der Schule, die Straße zum ehemaligen Wohnhaus, der 1951 eingeweihte Gedenk­stein, der ohne das Engagement vieler Panitzscher nicht aufgestellt worden wäre,  der Gedenkstein vor dem Heimatmuseum, der auf Initiative von Frau Prof. Edith Hoffmann aus dem Kinderheim in Pomßen geholt wurde, die von der Gemeinde fi­nanzierte Gedenktafel an der ehemaligen Arztpraxis in der Borsdorfer Straße, Renovierungen und Instandhaltungsarbeiten in und um das Blank-Haus mit Unterstüt­zung der Gemeinde, des Landratsamtes und durch Spenden. Im Interview mit Ro­land Bartsch betonte der Zeitzeuge, dass er es einfach notwendig findet, an sie zu erinnern, wie zuletzt mit der Tafel an der ehemaligen Praxis. Und wenn man Erinnerungen an den Menschen und die Ärztin über Jahrzehnte aufhebt, wie die mit Margarete Blank sehr verbundene Familie Sondermann es getan hat. Frau Stein über gab uns einen ausführlichen Brief, den Dr. Blank Anfang 1943 an Walter Sondermann schrieb, der sich als Soldat in Jalta befand. Oder der Originalstempel der Arztpraxis, den uns Frau Graichen aus Leipzig übermittelte. Tief beeindruckend ist auch die Hilfe, die der Vater von Gerd Graupner Dr. Blank vor allem in den ersten Jahren ihres Wirkens ge­währte und sie so schnell zu ihren Pati­enten chauffierte. Große und kleine Bril­len übergab uns Gerd Graupner, die in der Praxis für die sogenannte Höhensonne verwendet wurden. Es sind alles berührende Zeugnisse, die von einer tiefen Ver­bundenheit mit dem Leben und Wirken der Ärztin zeugen. Ihre Geburt ist 120 Jahre her, aber wofür sie konsequent eingetre­ten ist und was sie verkörpert hat, ist ak­tuell und wird es bleiben.

Wir danken allen, die unserem Verein eine Spende zukommen lassen. Unser beson­derer Dank gilt dem Ehepaar Frenzel und dem Neffen von Prof. Siegfried Behrsing (Schwager von Margarete Blank) Sieg­fried Lörcher aus Bremen und Prof. Edith Hoffmann aus Seehausen.

Aus redaktionellen Gründen mussten wir einige Kürzungen der Beiträge vorneh­men. Wir bitten um Verständnis

Dr. Petra Lau„
Verein Dr:- Margarete -Blank-Gedenkstätte
Panitzsch e. V

Repros: PhotoGrafik, Josef Liedke

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