LVZ Bericht: Das Fräulein Doktor und der Justizmord von Dresden

Die Luftangriffe auf Dresden brachten Tod und Verwüstung. Was viele nicht wissen: Die zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 niedergegangenen Bomben retteten aber auch manches Leben – das von politisch Gefangenen. Nicht so das von Margarete Blank. Die Ärztin aus Panitzsch bei Wurzen starb am 8. Februar unter dem Fallbeil.

Am heutigen 27. Januar ist Tag der Opfer des Hitlerfaschismus. Auf den Tag genau vor 75 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit. Zu der Zeit saß Margarete Blank noch immer in der Haftanstalt des Dresdener Landgerichts und wartete auf die Vollstreckung ihres Todesurteils. Die in der Dresdener Südvorstadt gelegene Trutzburg gehört heute zum Campus der TU Dresden. Hunderte Studenten gehen täglich ein und aus. Ein separater Eingang führt in eine kleine Gedenkstätte. Von dort aus gelangt der Besucher auf den ehemaligen Richthof.

Zwischen 1933 und 1945 wurden hier 1330 Menschen enthauptet. Meist morgens oder abends, wenn im Gericht nichts los war. Ein Denkmal von Künstler Arnd Wittig aus dem Jahre 1962 zeigt Widerstandskämpfer im Angesicht ihrer bevorstehenden Hinrichtung. Es heißt, der ursprünglich vorgesehene Entwurf von 1959 habe noch einmal überarbeitet werden müssen. Da sich unter den durchweg männlichen Figuren nur eine einzige Frau befand – und die auch noch trauerte(!) – sollte unbedingt eine standhafte Kämpferin her. Die dann auch kam.

Gedenkstättenleiterin Birgit Sack spricht nicht unkritisch vom „staatsoffiziellen Geschichtsbild“ der DDR. Sie hat eine Broschüre über Margarete Blank verfasst. Darin schreibt sie von der „antifaschistischen Widerstandskämpferin“ und der „Vorkämpferin des sozialistischen Gesundheitswesens“, als solche Blank lange Zeit vereinnahmt worden sei. Tatsächlich, so Sack, sei Blank keine politische Widerstandskämpferin gewesen. Vielmehr habe sie ein aufrechtes Leben gelebt und ihre Würde bis zu ihrem Tod bewahrt. Das Blutdruck-Messgerät der Ärztin ist in einer Vitrine zu sehen.

Kleines Fräulein Doktor, so nannten die Panitzscher einst ihre Ärztin. Zwar begegneten sie ihr, der aus Russland Zugereisten, anfänglich eher distanziert. Doch schätzten sie ihre Arbeit. Rund um die Uhr war die alleinstehende Frau, die ein abgelegenes Holzhaus bewohnte, für ihre Patienten da. Am 14. Juli 1944 wurde Margarete Blank von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) festgenommen. Sie sei eine bolschewistische Spionin und Agentin, lautete der Vorwurf.

Zwar verweigerte sie den Hitlergruß, behandelte auch Nicht-Deutsche und schrieb Soldaten „frontuntauglich“ – doch was steckte wirklich hinter dem Zugriff? Die Fakten sind nicht neu: Blank umsorgte mit Erfolg die fünf an Keuchhusten erkrankten Kinder des Borsdorfer Oberstabsarztes Werner Benne. Der war zu dem Zeitpunkt in Russland an der Front. Während eines Heimaturlaubs zeigte er seine Panitzscher Kollegin an. Sie habe sich gegenüber seiner Frau russlandfreundlich geäußert.

Darüber hatte Erika Benne ihren Mann zuvor brieflich informiert. Dabei wollte Blank die ihr im Arztzimmer gegenüber sitzende Frau wohl nur beruhigen. Der Krieg sei bald vorbei, man müsse sich vor den Russen nicht fürchten, soll sie sinngemäß gesagt haben. Niemand weiß genau, welche Worte wirklich fielen. Fest steht: Ihre Offenheit wurde Blank zum Verhängnis. Im Dresdener Landgericht machte man ihr den Prozess: Am 15. Dezember wurde sie zum Tode verurteilt. Damit, das geht aus den Unterlagen hervor, hatte sie nie gerechnet.

Am Morgen des 8. Februar teilte man ihr mit, dass das Gnadengesuch abgelehnt ist und sie hingerichtet werde. An ihren um einiges älteren Bruder Herbert durfte sie noch einen Abschiedsbrief schreiben. Darin bedankte sie sich für dessen freundliche Unterstützung in ihrer Studienzeit und bat ihn um Entschuldigung, dass sie manchmal zu wenig Zeit für die Familie hatte: „Die Pflicht gegen meine Kranken ging mir vor.“ Gegen 18 Uhr wurde sie getötet – zusammen mit einem Dutzend Männer.

„Es waren in Dresden die letzten Gefangenen, die in der Nazizeit unter der Guillotine starben“, sagt die Gedenkstättenleiterin. Nach den Bombardierungen seien vor allem Plünderer im Hof erschossen worden. Dagegen sei es zu Tode verurteilten politischen Häftlingen mitunter gelungen, das allgemein herrschende Chaos zur Flucht zu nutzen. Als Beispiel nennt sie zwei tschechische Gefangene, die zusammen mit dem deutschen Arzt Fritz Gietzelt über Meißen türmten.

Blanks gewaltsamer Tod werfe ein Schlaglicht auf das in der NS-Zeit weit verbreitete Denunziantentum und die Menschen verachtende sogenannte „Rechtssprechung eines Regimes, das jede Kritik an Staat und Partei mit drakonischen Strafen bis hin zum staatlich sanktionierten Justizmord ahndete“, sagt Birgit Sack. Darin stimmt ihr der Leipziger Osteuropa-Historiker Volker Hölzer zu. Er bezeichnet Margarete Blank dennoch als Widerstandskämpferin, weil es dafür auch Belege gebe. So versteckte sie in ihrem Haus nachweislich Bilder des kommunistischen Malers Alfred Frank, ist Hölzer überzeugt. Außerdem habe sie freundschaftliche Kontakte zu Georg und Rosemarie Sacke und damit Beziehungen zu aktiven Widerstandsgruppierungen unterhalten. Desweiteren soll sie Kriegsgefangene medizinisch betreut haben, so Hölzer. Er wisse um die Argumentation der Gedenkstättenleiterin und schätze sie auch: „Hier gibt es je nach Aktenlage zwei unterschiedliche wissenschaftliche Einordnungen. Das ist durchaus normal.“

Werner Benne blieb nach Angaben von Birgit Sack im Krieg. Erika Benne und Frieda Schnabel, letztere war Leiterin der NS-Frauenschaft in Panitzsch, wurden nach 1945 zu Haftstrafen verurteilt – als „Beihelfer bei der Begehung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit“. Fiel die Berichterstattung in der Presse seinerzeit tendenziös aus, wurden Prozessverlauf und Urteil in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Die Zweenfurtherin Petra Lau widmete sich dagegen der Rolle von „Blanks Todesrichter“, Heinrich von Zeschau: „1962 wurde er in Ulm mit vollen Pensionsbezügen in Ruhestand versetzt.“

von
       Haig Latchinian

 

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